5. Kammermusikabend
Mit Musiker:innen der Robert-Schumann-Philharmonie
Musikalische Entdeckungen sind nicht nur mit Werken aus jüngster Zeit möglich. Immer wieder kommt es in der Reihe der Kammermusikabende zur Begegnung mit heute kaum bekannten Werken von Komponist:innen vergangener Jahrhunderte. Der 1839 in Worms geborene Friedrich Gernsheim war zu Lebzeiten ein namhafter und im Musikleben weithin vernetzter Künstler. Seine Werke wurden von Gustav Mahler und Richard Strauss aufgeführt. Mit Johannes Brahms verband ihn eine enge Freundschaft. Zu seinem 75. Geburtstag im Jahr 1914 veranstaltete man in Dortmund ein großes Musikfest. Nach dem I. Weltkrieg geriet Gernsheim allerdings in Vergessenheit. Die Nationalsozialisten taten ein Übriges, um die Erinnerung an den jüdischen Komponisten und sein Schaffen auszulöschen. 2020 erschien eine Gesamtaufnahme seiner Werke für Violine und Klavier. Seine 2. Violinsonate aus dem Jahr 1885 spannt den Bogen von liedhafter, eindringlicher Deklamation über zarte Innigkeit zur energischen Bewegung. Sie weist den Komponisten als überzeugten Romantiker aus. Das weit gespannte Hauptthema des ersten Satzes streift, rein zufällig, eine bekannte Filmmelodie.
Der 1974 in Montevideo geborene und in Venezuela aufgewachsene Efraín Oscher ist ein gefragter Komponist und hervorragender Arrangeur. Als Flötist zählt er zum festen Kern der Bolívar Soloists. Auch mit dem venezolanischen Kontrabassisten Edicson Ruiz, der bereits im Alter von 17 Jahren Mitglied der Berliner Philharmoniker wurde, verbindet ihn eine Zusammenarbeit. Oschers Passacaglia für Kontrabass und Violine verwendet das barocke Verfahren der Variationen über einem obligaten Bass. Die Stücke zeigen nicht nur eine enorme Bandbreite musikalischer Charaktere, sondern bieten den beiden ebenbürtig behandelten Instrumentalparts zugleich beste Möglichkeiten, ausdrucksstark und virtuos miteinander zu interagieren.
Ebenfalls für die Besetzung Kontrabass und Violine schrieb der junge brasilianische Kontrabassist und Komponist Wendell Rosa seine Ascension of a Forgotten Battle. Das berührende kurze Stück entstand aus einer spieltechnischen Übung. Über einer Bassbegleitung mit einer Art Echoeffekt erhebt sich eine elegische Melodie der Violine. Der Gesamtverlauf beschreibt das erneute Aufbrechen einer vergessenen „Schlacht“ im Inneren einer Person.
Mit Werken bekannter Komponisten schließt der Kammermusikabend. Doch zählt Carl Maria von Webers Trio g-Moll op. 63 auch zu den bekannten Kammermusikwerken? Eher selten steht es auf den Programmen. Im Zentrum steht der Gedanke der Klage. Das Werk bewegt sich zwischen düster-dramatischer Zuspitzung und Ausweichen ins Offene, Helle. Die Kontraste von Klang und Ausdruck sind teils grell: Im Hintergrund ist der Freischütz zu spüren, den Weber zeitgleich komponierte.
Mit Johannes Brahms‘ Trio Nr. 1 H-Dur op. 8 kehrt der Kammermusikabend zum Ausgangspunkt romantischer Leidenschaft zurück. 1854 nach der ersten Begegnung mit Robert Schumann entstanden, ist es das erste Werk, das Brahms zum Druck freigab. Das weit gefasste Hauptthema des ersten Satzes zählt zu seinen genialsten melodischen Eingebungen. Das Trio kündet, im Wechsel zwischen gesanglichem Schwelgen, dramatischer Erregung und melancholischer Schwermut, von innerem Ringen. 1889 überarbeitete der reife Brahms sein Jugendwerk. Bruchlos drängte er den raumgreifenden „Sturm und Drang“ der ersten Fassung zurück und verdichtete das musikalische Geschehen.
Friedrich Gernsheim
Sonate für Violine und Klavier Nr. 2 C-Dur op. 50
Efrain Oscher
Passacaglia für Violine und Kontrabass
Wendell Rosa
Ascension of a Forgotten Battle
Duo für Violine und Kontrabass
Carl Maria von Weber
Trio g-Moll für Klavier, Flöte und Violoncello op. 63
Johannes Brahms
Klaviertrio Nr. 1 H-Dur op. 8