Bilder deiner großen Liebe
Von Wolfgang Herrndorf in einer Bühnenfassung von Robert Koall
Bewaffnet mit ihrem Tagebuch entwischt Isa aus einer Anstalt, in der andere bestimmen, was „normal“ ist und so oder so zu sein hat – als ob überhaupt jemand sagen könnte, was das eigentlich ist. Wandernd mäandernd macht sie sich auf den Weg. Unterwegs über Felder, Dörfer, Straßen und Wälder streift sie auf zahlreichen Nebenpfaden am Rand des Lebens entlang und stolpert mitten hinein in das ihre. Sie isst, was sie findet oder mitgehen lässt, trifft seltsame wie liebenswürdige, todtraurige und widerliche Menschen, reist eine Zeitlang auf einem Kahn und lässt sich von zwei Jungs in einem geklauten Auto mitnehmen. Mit allen Sinnen und überbordenden Gedanken spürt sie der Verzweiflung nach, die sie bei diesen und jenen Menschen entdeckt und taucht tief in Geheimnisse, Träume und Sehnsüchte ein, die vielleicht nur vermeintlich die der anderen sind.
Wolfgang Herrndorfs letzte und unvollendet gebliebene Romanfigur Isa lässt uns direkt und unmittelbar teilhaben an dem, was sie erlebt, spielt mit den Gegensätzen und entzieht sich immer wieder aufs Neue zuverlässig unzuverlässig allen Zuschreibungen und Gewissheiten. Altklug und fordernd wie schüchtern zugleich stürzt sie sich hinein in die Welt, die sie umgibt – mit all den kleinen Momenten, den oft nur kurzen Begegnungen, die, zu einem radikalen wie berührenden Kaleidoskop aus Lebensgeschichten, Perspektiven, Hoffnungen und Träumen aufgefächert, zu großen Augenblicken werden. Katharina Kummer inszeniert mit Herrndorfs posthum veröffentlichtem Romanfragment Bilder deiner großen Liebe ein beeindruckendes Portrait, das – als Road Novel angelegt – irgendwo zwischen Realismus, Fantasie, stürmender Romantik, Märchen- und Kindheitserinnerungen taumelnd zum Stehen kommt.
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Chemnitzer Herrndorf-Inszenierung: Verrückt aber nicht bescheuert
Sarah Hofmann | Freie Presse | 4.03.2024